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Der Brexit und seine Folgen für Brandenburg

LINKE beantragte im Landtag am 14. Juli eine Aktuelle Stunde

Der Brexit ist eine Entscheidung, die tief in die Geschicke Europas und der Europäischen Union (EU) eingreift – und die auch Brandenburg nicht unberührt lässt. Sie berührt Brandenburg, weil das Bundesland erstens eine enge wirtschaftliche Verflechtung nach Großbritannien hat. Mehr als 200 Brandenburger Unternehmen handeln mit der britischen Insel, produzieren gemeinsam. Das betrifft zum Beispiel die Branchen Flugzeugbau, Maschinenbau bis hin zur Chemieindustrie. Bekannteste Kooperation ist das europäische Unternehmen Airbus. Im Rahmen dieses Unternehmens spielt Roll Royce als britisches Unternehmen mit seinem Standort in Dahlewitz eine große Rolle, mehrere tausend Beschäftigte arbeiten im Bereich des Turbinenbaus.

Zweitens sind auf Grund der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU bisher auch Studenten aus Brandenburg in Großbritannien – und studieren Briten umgekehrt an unseren Universitäten und Hochschulen. Mit dem Austritt Großbritanniens werden diese jungen Menschen Einschränkungen treffen.

Drittens sinkt bei einem Austritt Großbritanniens das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt innerhalb der EU. Großbritannien ist die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Damit wird Brandenburg schon aus statistischen Gründen über die 90-Prozent-Grenze innerhalb der EU gelangen, die den Übergang kennzeichnet zwischen so genannten Übergangsregionen und „wirtschaftlich entwickelten Regionen“. Das wird direkte Auswirkungen auf die Höhe europäischer Fördergelder für wirtschaftliche und soziale Projekte haben. Brandenburg erhält in der Förderperiode von 2014 bis 2020 insgesamt 2,4 Milliarden Euro. Es ist damit zu rechnen, dass sich diese Summe reduzieren wird.
Allerdings hat sich Brandenburg so gut wirtschaftlich entwickelt, dass sich das Land 2020 wahrscheinlich ohnehin oberhalb der 90-Prozent-Marke platzieren würde – unabhängig vom Brexit. Im Moment jedoch würde es auch aus statistischen Gründen diesen Effekt geben.
Im Jahr 2017 beginnen die Verhandlungen für die Förderperiode ab 2020. Die 16 Bundesländer haben in Deutschland gesetzgeberische Kompetenzen in Bezug auf die Europapolitik. Deshalb ist es wichtig, dass Brandenburg seine Schwerpunkte definiert.

Die LINKE schlägt dazu vor:
Erstens: Die Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft.
Zweitens: Die Entwicklung der ländlichen Räume.
Drittens: Zusammenarbeit mit Polen.
Viertens: Die Unterstützung der Infrastrukturentwicklung, weil sich zwei Europäische Trassen – sowohl in Bezug auf den Straßenverkehr als auch auf den Schienenverkehr – in Brandenburg kreuzen; einmal von der Ostsee bis zum Mittelmeer, einmal von den niederländischen Häfen bis nach Moskau. Das wären Interessen Brandenburgs, aber aufgrund ihrer überregionalen Bedeutung könnten sich möglicherweise alle 16 Bundesländer darauf einigen.

Soziales Europa
Der Brexit macht noch etwas anderes deutlich: Die EU muss ihren Inhalt und ihre Ziele neu definieren. Dabei geht es im Kern aus Sicht der LINKEN um zwei Dinge: Die EU als Friedensprojekt, was zum Beispiel bei der Bewältigung der Flüchtlingshilfe aber auch bei der Überwindung des Ukraine-Konflikts eine große Rollen spielen könnte. Die EU muss sich zu einem sozialen Europa entwickeln, was insbesondere bei der Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit als auch der Strukturkrise im Süden Europas deutlich wird. Da sich das gegenwärtig alles vor dem Hintergrund abspielt, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen und Nationalstaatlichkeit propagiert wird, wird das Definieren dieser Gemeinsamkeit eines der Hauptpunkte sein, um Europa weiter zu entwickeln. Dabei muss es bei den Institutionen in Europa um Transparenz gehen, um eine Überprüfung ihrer Notwendigkeit, um die Prüfung von nationalstaatlichen Kompetenzen.

Die Europaministerkonferenz (EMK) der deutschen Bundesländer hat unter Brandenburger Leitung – und insbesondere der Führung der LINKEN – bereits 2013 einen einstimmigen Beschluss für ein soziales Europa gefasst. Der Beschluss enthält Zielstellungen zur Entwicklung der EU wie:
- die Einführung einer Sozialunion (zum Beispiel mit einer Europäischen Arbeitslosenversicherung,
- Regelungen zur gemeinsamen EU-Außenpolitik, der Gestaltung der Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarn (inklusive Schritte zur Milderung des Wohlstandsgefälles) und die Positionierung zu den Krisengebieten insbesondere in der Nachbarschaft der Union
- Ermöglichung eines „Europas der zwei Geschwindigkeiten“, das heißt, dass es unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Ländern geben kann. Zum Beispiel könnte die Finanztransaktionssteuer erst in einigen Ländern eingeführt werden, um dann schrittweise ausgebaut zu werden. Das hat für die praktische Politik bisher noch keine Auswirkungen gehabt, aber es hat erstmals in der Bundesrepublik dokumentiert, dass es ein gemeinsames Grundverständnis zu einem sozialen Europa gibt. Vor dem Hintergrund des Brexits hat diese Diskussion noch an Bedeutung gewonnen. Brandenburg sollte hier die
Möglichkeiten der Europaministerkonferenz, des Bundesrates und auch der Ministerpräsidentenkonferenzen nutzen, um die Positionen in den Verhandlungen sowohl mit Großbritannien als auch für die Ausgestaltung der Inner-EU-Beziehungen der verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten nutzen.

Zusammenarbeit
Die Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens aus der EU werden etwa 2 Jahre in Anspruch nehmen. Für die künftige Art der Zusammenarbeit gibt es drei Modelle:
Das Modell „Norwegen“: Das Land nimmt Teil am Europäischen Binnenmarkt und der „Freizügigkeit“, zahlt in die EU ein, hat aber kein Recht auf die Entscheidungen zur Verwendung der Mittel.
Das Modell „Freihandelsabkommen“: Damit könnten für den Warenaustausch Zollbarrieren möglichst weit abgebaut werden.
Das Modell „Drittstaat“: In diesem Status befindet sich zurzeit die USA: Es gibt Zoll-, Handels- und Einreisebarrieren.

Was das weitere Verfahren schwierig macht ist, dass diejenigen, die den Brexit politisch gewollt haben, keinen Plan haben, welche Folgen der Austritt aus der EU für Großbritannien haben soll. Sie haben zum Teil auch mit falschen Argumenten dafür geworben, die – noch in der Nacht der Entscheidung – alle revidiert werden mussten. Das ist dann nicht Wahrnahme von nationaler Verantwortung sondern verantwortungslos. Das trägt natürlich dazu bei, dass das Vertrauen in die Lösungskompetenz von Politik weiter sinkt.

Eigentlich muss sich der neue Europäische Rahmen auch in Veränderungen der EU-Verträge niederschlagen. Eine EU-Verfassung ist weiterhin eine Forderung der LINKEN – aber sie scheint derzeit nicht realistisch.
Ralf Christoffers, Vorsitzender der Landtagsfraktion der LINKEN
(OW-Beitrag)