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Griechenland vor der Wahl: Gefahr oder Hoffnung?

„Draufsichten – Ansichten – Einsichten“ mit dem Ökonom Theodoros Paraskevopoulos

Martin Günther (r.), Mitglied des Stadtvorstandes, moderierte die Diskussionsrunde mit Theodoros Paraskevopoulos.
Blick in den Veranstaltungsraum im Treff 23, der an diesem Abend gut gefüllt war.
Der Gast bedankte sich herzlich für das Heimflugticket, das ihm die Teilnahme an der Wahl ermöglichen würde.

Zwei Tage vor der griechischen Parlamentswahl hatte die Bernauer LINKE in ihrer Veranstaltungsreihe „Draufsichten – Ansichten – Einsichten“ den Ökonom Theodoros Paraskevopoulos, Leitungsmitglied des Linksbündnisses SYRIZA, als Gesprächspartner zu Gast.

Zu Beginn beschrieb der Gast die verheerende soziale Lage nach 5 Jahren aufoktroyierter Sparpolitik in seinem Land. Die Kürzungen im Staatshaushalt hätten zu einer tiefen Rezession geführt, in deren Ergebnis 25 % des BSP verloren gingen. Gehälter, Löhne und Renten wurden radikal gekürzt. Damit sank die Inlandsnachfrage. Ein Drittel der Bevölkerung lebe am Rand oder unter der Armutsgrenze. 3 Mio. Bürger könnten sich keine Krankenversicherung mehr leisten. 700.000 Unternehmen wurden in den letzten 5 Jahren geschlossen. Die Arbeitslosigkeit sei gerade mit über 50 % bei Jugendlichen extrem hoch. Obdachlosigkeit und Kriminalität hätten bedrohlich zugenommen.

Unter dem Strich habe die Austeritätspolitik der EU, insbesondere das Diktat der „Troika“ aus EU-Kommission, EZB und IWF, versagt, denn die Staatsschulden haben sich zwischenzeitlich von 120 % des BSP auf nunmehr 180 % erhöht. Ohne Investitionen gebe es kein Wirtschaftswachstum, ohne Wachstum keine Überschüsse zur Rückzahlung der Schulden. Letztlich gab es nur eine Umverteilung von „unten“ nach „oben“, zumal es nicht gelang eine Steuergerechtigkeit durchzusetzen.

In dieser Situation verlor die herrschende Elite zunehmend das Vertrauen der Bevölkerung. Hoffnung auf eine Wende wird nunmehr mit dem Linksbündnis SYRIZA verbunden. Die vom Gast noch geäußerte Hoffnung auf die absolute Mehrheit im Parlament erfüllte sich am 25. Januar jedoch nicht, so dass eine Koalition gebildet werden musste.

Als Ziele einer SYRIZA -Regierung nannte Theodoros u. a. den Wiederaufbau der Wirtschaft und ein Programm zur Überwindung der Not, welches mit einem Koalitionspartner nicht verhandelbar sei. Auch Festlegungen zur Krankenversicherung würden nicht Gegenstand von Koalitionsgesprächen sein. Durch eine Umstrukturierung des Haushalts könnten 12 Mrd. Euro für soziale Belange erwirtschaftet werden. Außerdem werde die Regierung konsequent die Steuerflucht insbesondere aus dem illegalen Brennstoffhandel bekämpfen und das Amt für Wirtschaftskriminalität direkt dem Ministerpräsidenten unterstellen. Ein neues Steuersystem soll mittelfristig die "kleinen Leute" ent- und die Reichen belasten. Das Bankensystem soll umgestaltet und zukünftig der Wachstums- und sozialen Politik dienen. Genossenschaften und kleine Unternehmen sollen gefördert werden. Nicht zuletzt verfolge SYRIZA das Ziel, eine demokratische Verwaltung aufzubauen.

Hinsichtlich des Schuldendienstes strebt das Regierungsbündnis baldige Verhandlungen mit der EU an. Ein Schuldenschnitt sei objektiv nötig, da die angehäuften Verbindlichkeiten objektiv nicht bezahlt werden könnten. Vorbild könnte Deutschland nach dem 2. Weltkrieg sein. Damals wurden die finanziellen Verpflichtungen der BRD halbiert und Rückzahlungen vom Wachstum abhängig gemacht. Der Gast vertrat die Ansicht, dass dies auch im Interesse der EU liege, denn ein griechischer Ausstieg aus dem Euro oder der EU würde viel teurer werden und die südöstliche Flanke der Union bedeutend schwächen.

SYRIZA vertraue bei der Umsetzung seiner Ziele auf ein breites demokratisches Bündnis der „kleinen Leute“ und strebe eine enge Zusammenarbeit auch mit anderen politischen Kräften auf der Basis des Wahlprogramms an. Dabei könne der „Druck auf der Straße“ helfen. Selbst aus den Reihen der Militärführung erhalte man positive Signale.

In der anschließenden Diskussion mit den zahlreichen Teilnehmern wurden weitere Aspekte der griechischen Politik wie die Pläne zum ökologischen Umbau der Gesellschaft sowie das Verhältnis zur Türkei erörtert.
Nach gut 90 Minuten wurde Theodoros herzlich verabschiedet. Als Gastgeschenk wurde ihm eine Flasche Bernauer Bier sowie ein roter Umschlag – ein Beitrag zur Initiative „Give us ein flight back (Gib uns einen Rückflug)“ – übergeben. Denn der Gast musste zur Wahl extra nach Hause fliegen, weil das Wahlgesetz nur eine Stimmabgabe am Geburtsort vorsieht. Zudem konnte er gewiss sein, dass seine Zuhörer an diesem Abend ihm und seine Genossen alle Daumen drückten.
W. Kraffczyk