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Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina noch in weiter Ferne?

Nah-Ost-Expertin zu Gast bei Dagmar Enkelmann

Prof. Angelika Timm (r.) bei ihren Ausführungen

Der Treff 23 war gut besucht zur sonntäglichen Gesprächsrunde mit einer ausgewiesenen Nah-Ost-Expertin. Die Begrüßung durch Prof. Angelika Timm erfolgte zunächst in Arabisch und in Hebräisch. Ein Einstieg in eine lebhafte Debatte mit der Wissenschaftlerin, die mehrere Jahre in Israel gelebt hat. Sie baute dort die Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf, deren Vorsitzende Dr. Dagmar Enkelmann ist. Reichlich Gesprächsstoff für eine politische, aber auch persönliche Bewertung der Lage im Nahen Osten. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Wissenschaftlerin mit der Region. Von 1968 bis 1973 studierte sie Hebraistik und Arabistik an der Humboldt-Universität in Berlin und wurde 1976 mit einer Arbeit zur Geschichte Palästinas promoviert.

Wie es zu diesem exotischen Studienwusch kam, wollte Dagmar Enkelmann gleich zu Beginn wissen. "Das Fernweh brachte mich dazu", so die Tochter einer Geografielehrerin, die an der Geschwister-Scholl-Oberschule in Löbau/ Sachsen das Abitur gemacht hatte. Dabei wurden für diesen Studiengang nur aller fünf Jahre jeweils fünf Studenten immatrikuliert. Dafür war das Studium, so schwärmt sie noch heute, individuell und sehr intensiv. Allerdings war die Sprachen-Ausbildung mehr auf das Lesen, Übersetzen und das Studium wissenschaftlicher Dokumente konzentriert. Direkten Austausch mit den Ländern in Nah-Ost gab es zu dieser Zeit kaum.

Als junge Frau in diplomatischen Diensten
Das Kommunizieren in Arabisch lernte sie erst, so Angelika Timm, als sie 1977, mit dem ersten Doktortitel in der Tasche, den diplomatischen Dienst in der Botschaft der DDR im Irak als Konsulin antrat. Für eine junge Frau von 28 Jahren ohne praktische Auslandserfahrung ein schwieriges Amt. Und die Konfrontation mit einer Realität, die in den Studienfächern nicht vorgekommen war. Kommunisten wurden damals auch im Irak verfolgt und eingekerkert. Unter ihnen viele, die in der DDR studiert hatten und mit deutschen Frauen und ihren Kindern in die Heimat zurück gekehrt waren. Die junge Konsulin versuchte zu helfen so gut es ging, den Frauen und ihren Kindern auf verschlungenen Wegen die Rückkehr in die DDR zu ermöglichen, denn diese hatten außer der familiären keinerlei Unterstützung im Irak zu erwarten. Nicht immer sei dies gelungen, so Angelika Timm. Denn zur Ausreise aus dem Irak brauchten die Frauen die Zustimmung ihrer Männer und die war nicht in jedem Fall zu erlangen.
Nach einem gemeinsamen diplomatischen Einsatz mit ihrem Mann in der DDR-Botschaft in Kairo kehrte Angelika Timm an die Humboldt-Universität zurück, um wieder wissenschaftlich zu arbeiten.

Das eine und das andere Israel
1985 durfte sie das erste Mal nach Israel reisen, um Recherchen für ihre wissenschaftliche Habilitationsschrift zum Thema Politik der sozialdemokratischen Bewegung in Israel zu sammeln. Dabei, so Angelika Timm, lernte sie das eine, aber auch das andere Israel kennen. Das Land, dass drei Kriege gegen seine arabischen Mitbewohner und Nachbarn führte, deren Gebiete eroberte und besetzte - aber auch das Land, dass Heimstatt für Juden aus aller Welt geworden, multikulturell ist und sich eine zivile, demokratische Verfassung gegeben hat. Dieser Widerspruch gelte noch heute. 1987/88 habilitierte sie über die Politik Israels und war dann bis 1998 Dozentin und Leiterin des Seminars für Israelwissenschaften an der Humboldt-Universität. Nach der Wende initiierte sie mit einen neuen Studiengang für Israelkunde und Regionalwissenschaften der arabischen Welt, der großen Anklang fand. In den 90er Jahren wurden aus den ehemals fünf über hundert Studenten, die die Studienrichtung wählten. Angelika Timm war in ihrem Element. Doch leider wurde der Studiengang 1998 abgewickelt. Seit Jahren wird auf diesem Gebiet an deutschen Universitäten bedauerlicherweise nicht mehr geforscht und gelehrt. Obwohl das angesichts der aktuellen politischen Lage mehr als notwendig wäre, so die Wissenschaftlerin. Zur Zeit versuche man an den Universitäten von Mainz und Heidelberg mühsam, Studiengänge wieder einzurichten, informierte sie.
Prof Angelika Timm, als ausgewiesene Expertin, nahm Gastprofessuren in Haifa, den USA und der Freien Universität Berlin an. Hier forschte sie zum Wertewandel in der israelischen Zivilgesellschaft.

Was leistet die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Israel?
"Wir waren froh", so Dagmar Enkelmann, eine solch ausgewiesene Expertin für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu gewinnen. Mit ihren Kontakten in die israelische Zivilgesellschaft, ihrem reichen Erfahrungsschatz und ihren fundierten Kenntnissen sowohl der israelischen, als auch der arabischen Geschichte und Gesellschaften war sie prädestiniert für den Aufbau und die langjährige Leitung des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv seit 2009.
"Zunächst einmal war ich sehr überrascht", so Angelika Timm, "wie präsent Rosa Luxemburg in Israel ist." Es gab noch jüdische Einwanderer aus Deutschland, die jedes Jahr im Januar ihrer Ermordung als jüdischer, linker Sozialistin gedachten. Es gibt Übersetzungen ihrer Werke und Briefe in Hebräisch.
Die Rosa -Luxemburg-Stiftung setzte an dieser Tradition der Internationalistin an und führt sie fort mit Lesungen, Filmvorführungen, Informationen und internationalen Foren zu linken europäischen Bewegungen. Die Stiftung knüpfte Kontakte zu fortschrittlichen zivilgesellschaftlichen Vereinigungen in Israel und unterstützt deren Projekte. So z. B. das Zentrum für humanistische Erziehung, das sowohl an einem arabischen Gymnasium jüdische Geschichte und Kultur vermittelt, als auch an einem jüdischen Gymnasium die Ursachen von Gewalt und Krieg in der Region erforscht und verdeutlicht.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte eine arabisch-israelische Schreibwerkstatt für Frauen. Die Frauen schrieben über ihre Erfahrungen, über ihre Ängste und ihre Hoffnungen, die sich nicht fremd sind, sondern eher gleichen. Daraus sei ein Buch entstanden mit dem Titel Lexikon des Friedens. "So versuchen wir Brücken zu bauen zwischen Völker, wo immer wieder Gewalt und Krieg ausbrechen", so Prof. Timm.

Wie sie die Chancen einer zwei-Staaten-Lösung in der Region real einschätze, wurde die Expertin daraufhin befragt. "Solange es in der israelischen Gesellschaft keine Mehrheit für eine andere Politik gegenüber den Palästinensern gibt, wird es keine Zwei-Staaten-Lösung geben", dämpfte Prof. Timm die Erwartungen. Die Furcht vor dem Verlust der Siedlungsgebiete führte gerade bei der letzten Knesseth-Wahl im März 2015 wieder dazu, dass die konservativen, nationalen Kräfte die Oberhand behielten. Man könne gegen die israelische Siedlungs- und Expansionspolitik sein, dürfe dafür aber nicht alle Bewohner Israels und alle Juden in Haft nehmen, betonte Angelika Timm. Es gäbe in der israelischen Gesellschaft inzwischen viele Gruppen, die eine Friedenslösung fordern. Diese müsse man unterstützen, was die Rosa-Luxemburg-Stiftung vor Ort tue. Das Existenzrecht Israels sei aber in jedem Fall anzuerkennen. Solange auch die palästinensische Gesellschaft in dieser Frage zerrissen sei, sei es trotz aller internationalen Unterstützung schwer, eine Zwei-Staaten-Lösung oder wenigstens eine Friedensregelung zu finden, unterstrich sie.
Margot Ziemann