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Sahra Wagenknecht zum „Kapitalismus im Krisenmodus“

Sahra Wagenknecht und Martin Günther als Moderator auf der Bühne der Stadthalle
Thomas Sohn, Vorsitzender des Stadtverbandes der LINKEN, überbrückte die Wartezeit bis zum Eintreffen der Rednerin, indem er über die Tätigkeit der Partei in Bernau und im Barnim berichtete
Martin Günther überreichte der Politikerin ein kleines Präsent als Dankeschön

War es  der Name der prominenten Linkspolitikerin, war es das Thema, das durch die Alltagserfahrungen der Bürger zunehmend praktische Untersetzung erfährt? Jedenfalls war die Bernauer Stadthalle mit ihren rund 350 Plätzen am 12. November fast voll besetzt, als der Stadtverband der LINKEN zur jüngsten Veranstaltung aus der Diskussionsreihe „Draufsichten - Ansichten – Einsichten“ einlud.

Zunächst wurde im Dialog zwischen Martin Günther, Mitglied des Stadtvorstandes, und Sahra Wagenknecht die wachsende Schere zwischen Arm und Reich in Europa thematisiert. Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag verwies in diesem Zusammenhang auf die Politik der Steuerschenkungen, des Steuerdumpings und der zahlreichen, nur zaghaft bekämpften Schlupflöcher für Steuersünder einerseits und das sinkende Lohnniveau sowie prekäre Arbeitsverhältnisse andererseits. Die lautstark verkündete Forderung nach „Reformen“ im Sinne der „Agenda 2010“, die insbesondere auch gegenüber Griechenland erhoben wird, richte sich gegen Lohnabhängige. Die daraus resultierenden Probleme würden u. a. durch die von der EZB betriebene „Geldschwemme“ gedeckelt. Es bestünde zwar keine unmittelbare Gefahr einer galoppierenden Inflation, weil das Geld nicht bei den Verbrauchern ankommt. Dafür werde die Spekulation an und außerhalb der Börse angeheizt. DIE LINKE verlangt als Alternative dazu ein europäisches Investitionsprogramm, mehr öffentlichen Wohnungsbau und den Ausbau der Infrastruktur.

Auf die Frage nach Konsequenzen, die im Ergebnis der Finanzkrise ergriffen wurden, äußerte sich der Gast skeptisch. Diesbezüglich sei kaum etwas passiert. Die Banken seien durch Zusammenschlüsse noch größer und damit noch „systemrelevanter“ geworden. In der Regel gab es keine private Haftung für Verluste. Bislang bleibe die Öffentlichkeit in der Haftung der großen Banken – Gewinne aus den Geldgeschäften werden privatisiert, Verluste aber vergesellschaftet. Es zeige sich, dass der Zahlungsverkehr und das Kreditgeschäft eigentlich öffentliche Aufgaben mit Gemeinwohl-Auftrag sind und tiefgreifenden Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Deshalb müsse auch die Gesellschaft die Kontrolle darüber ausüben.

Mit Blick auf jüngste Entwicklungstendenzen in der EU, speziell der Eurozone, verwies die Rednerin auch auf das Bestreben, die Haushaltspolitik der einzelnen Regierungen in Brüssel bestimmen zu wollen und die „Troika“-Politik mit diversen Sparmaßnahmen auf alle Mitgliedsstaaten auszudehnen. Damit ginge ein weiterer Verlust der Souveränität der Nationalstaaten einher.
Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, wäre eine weitere Steigerung dieses Trends. Gesetze müssten zukünftig vor der Beschlussfassung mit „betroffenen“ Konzernen abgestimmt werden, was zum Diktat der Wirtschaft über die Politik führt. Die negativen Konsequenzen könne man in Griechenland studieren.
„Die EU war und ist ein Instrument des Kapitals und keine Sozialunion“, schätzte die Rednerin zusammenfassend ein. Deshalb wachse die Skepsis gegenüber der EU und nationalistische, rechte Kräfte gewinnen an Einfluss.

Auf die Eingangsfrage zurückkehrend, verwies Wagenknecht darauf, dass in Deutschland die 10 reichsten Familien jährlich 2,4 Mrd. € allein aus Dividenden für ihr Vermögen beziehen. Da die Erbschaftssteuer faktisch ausgehöhlt wurde, werde dieses Vermögen immer wieder in den Familien „weitergereicht“. Es verfestigen sich somit die Vermögensverhältnisse, die wiederum die Grundlage für den Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – auf die gesamte Gesellschaft bilden.
DIE LINKE setzt die Forderung nach einer Millionärssteuer sowie einer Vermögenssteuer in Höhe von 5 %, die jährlich 100 Mrd. € in die Länderhaushalte spülen würde, entgegen. Damit könnten dringende Investitionen sowie der öffentliche Dienst ausreichend finanziert werden. Allerdings räumte die Rednerin ein, dass es dafür keine Mehrheiten in der deutschen Politik gebe. Für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene fehlten der LINKEN die Partner. So betrachtet SPD-Chef Gabriel die Vermögenssteuer als „nicht zeitgemäß“. Auch in der TTIP-Problematik verfolge er einen Schlingerkurs. DIE LINKE sei zwar zu Kompromissen bereit, doch müssten die Kernthemen der Partei wie soziale Gerechtigkeit eine Chance zur Durchsetzung haben.

Abschließend hob Sahra Wagenknecht hervor, dass die Freiheit des Menschen zunehmend infrage gestellt werde. Europaweit sei die Rückkehr zum Manchester-Kapitalismus unter dem Mantel des Liberalismus zu beobachten. Erwartete ständige Verfügbarkeit der Lohnabhängigen für die Firma, seelischer Druck bei den prekär Beschäftigten – all das untergrabe die persönlichen Freiheiten. Das hohe Gut der von den Herrschenden deklarierten Freiheit werde von eben diesen systematisch erodiert, so Sahra Wagenknecht.

Auch wenn die Politikerin aufgrund von Abstimmungen im Bundestag das Publikum anfangs fast 30 Minuten hat warten lassen (müssen), wurde sie nicht nur mit großem Applaus begrüßt sondern auch ebenso herzlich verabschiedet. Der Abend war zweifellos ein Highlight nicht nur für die Bernauer LINKE.
Übrigens: Die mit dem Kartenverkauf für diese Veranstaltung erzielten Einnahmen werden der Bernauer Tafel e. V. als Spende übergeben.
W. Kraffczyk


Am 12. November war der große Saal in der Bernauer Stadthalle fast voll besetzt.