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Thomas Nord, MdB der Linken, sprach vor Parteifreunden zur aktuellen Lage

Lebhafte Debatte im Roten Salon

Thomas Nord (r.) während seiner Ausführungen

Seine Polit-Karriere ist mehr als eindrucksvoll: Seit 1976 war Thomas Nord Mitglied der SED, 1984 erfolgte die Berufung in die FDJ-Kreisleitung. Er war hauptamtlicher Funktionär des Jugendverbandes und der Partei. Von 2005 bis 2012 war er Landesvorsitzender der PDS in Brandenburg. Seit 2009 ist er MdB der LINKEN, seit 2012 auch Mitglied des Bundesvorstandes. Von Mai 2014 bis Juni 2018 war er Bundesschatzmeister. Wenn einer wie er beim Roten Salon in Bernau aufritt, dann hat er etwas zu erzählen und kann dafür aus den Vollen schöpfen. Zahlreiche Besucher waren gekommen und lauschten aufmerksam.

Viele seiner Aussagen klangen recht pessimistisch. Dafür gibt es gute Gründe. Die Stimmung im Bundestag hat sich durch den Einzug der AfD erheblich verschlechtert. War es bisher Usus, auch dem politischen Gegner menschlichen Respekt zu zollen, so hat sich dies zu einem guten Teil in Szenarien verwandelt, die an Schlammschlachten erinnern. Wer anderer Meinung ist, wird persönlich diffamiert, wobei die Methoden faschistischen Untugenden ähneln. Die Hemmschwelle scheint immer weiter zu sinken. Thomas Sohn hat oft genug den Eindruck, auf der Hut sein zu müssen, und ertappt sich manchmal dabei, dass ihm wegen persönlicher Angriffe selbst die Gäule durchgehen.

In der letzten Legislaturperiode hatte die große Koalition eine bequeme Mehrheit, mit der sie alles durchsetzen konnte, was ihr beliebte. Argumente der Opposition verhallten ungehört. Nach der letzten Bundestagswahl geschah aus Gründen der Mehrheitsfindung erst einmal gar nichts, jetzt liefern sich CDU und CSU erbitterte Kämpfe, die das Schicksal der Regierung in Frage stellen. Die SPD schaut tatenlos zu, Regierungsarbeit findet nach wie vor nicht statt.

In der kleinen Runde wurde auch lebhaft diskutiert.

Ähnlich wie im Bundestag gibt es auch in der Bevölkerung tiefe Gräben. Der Gegensatz von Reich und Arm nimmt tendenziell weiter zu. Bei der Flüchtlingspolitik prallen die Meinungen unversöhnlich aufeinander. Beides ist nach Ansicht von Thomas Nord eine Auswirkung der Globalisierung, die mancherorts zu nationalen oder gar nationalistischen Gegenbewegungen führt, wo Abschottungstendenzen proklamiert werden. In der EU lässt sich das schmerzlich beobachten. Länder wie Polen, Ungarn, die Tschechei und seit Neuerem auch Österreich und Italien verfallen in eine EU-feindliche Haltung. Innenminister Seehofers Plan, bei der Flüchtlingspolitik eine deutsche Separatlösung anzustreben, passt genau in dieses Bild. Thomas Nord nimmt die Entwicklung sehr ernst, denn wenn sich die Seehofer-Linie durchsetzt, hat sich auch Deutschland auf den Pfad der nationalen Eigeninteressen begeben, und die Gefahr, dass sich die EU auflöst, wäre dadurch um ein erhebliches Stück gewachsen. Permanente Kontrollen an Deutschlands Grenzen wären unausweichlich. Das von Seehofer geplante Vorgehen verstieße gegen die Dublin-Vereinbarungen und damit gegen europäisches Recht.

Ein weiterer Grund, weshalb die Zukunft der EU unter einem schlechten Stern steht, resultiert aus der Tatsache, dass aller Voraussicht nach bei den EU-Wahlen im nächsten Jahr auf Grund der nationalen Mehrheitsverhältnisse verstärkt rechtskonservative Abgeordnete ins Brüsseler Parlament und damit auch in die politischen Ausschüsse einziehen werden. Dass dies der europäischen Integration nicht förderlich sein kann, liegt auf der Hand.

Leider nagen die zentrifugalen Kräfte der politischen Großwetterlage auch an der linken Bewegung selber. Der weitere Umgang mit Flüchtlingen führte auf dem letzten Parteitag der LINKEN beinahe zu einer bedenklichen Patt-Situation. Die Pläne von Sarah Wagenknecht, eine "Sammlungsbewegung" ins Leben zu rufen, könnten laut Thomas Nord einen ähnlichen Effekt haben. Mélenchon in Frankreich und die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien blasen ins gleiche Horn. Wenn sich diese Sammlungsbewegung auf europäischer Ebene installiert, verliert die Linke vielleicht durch Spaltung an Einfluss.

Weltpolitisch betrachtet, sieht es ebenfalls düster aus, weil Donald Trump mit seinen "America First"-Bestrebungen an den Grundpfeilern der internationalen Handelsbeziehungen rüttelt und sich ernsthaft mit der EU und China anlegt. Etwa 80% des Welthandels sind davon betroffen. Damit werden sich die USA längerfristig ins eigene Fleisch schneiden, weil nicht alle Waren in Eigenleistung so billig und so gut hergestellt werden können, wie sie durch internationalen Handel zu beschaffen wären. US-Produkte werden sich außerdem durch Gegenzölle verteuern. Kurzfristig kann diese Politik den US-Binnenmarkt - gemeinsam mit den schon beschlossenen Steuererleichterungen - aber beflügeln, so dass die Wiederwahl Trumps in zwei Jahren nicht unwahrscheinlich ist.

Globalisierte Wirtschaftsbeziehungen sind hingegen ein Faktum. Es lässt sich nicht durch nationale Abschottung vom Tisch wischen - so wenig, wie sich die mechanischen Webstühle dadurch abschaffen ließen, dass man sie beim Weberaufstand aus dem Fenster warf. Internationale Konzerne verfügen über einen Jahresgewinn, der selbst das Bruttosozialprodukt reicher Länder in den Schatten stellt. Natürlich weiß man in der Partei DIE LINKEN sehr genau, dass sowohl die internationalen Handelsbeziehungen als auch das Wirtschaftssystem der EU streng nach kapitalistischen Prinzipien geordnet sind und geradezu nach grundlegenden Reformen schreien. Thomas Nord spricht sich aber ganz klar dafür aus, diese Systeme zu erhalten und lieber kontinuierlich und hartnäckig an einer gerechteren Gestaltung zu arbeiten, als alles mit dem populistischen Vorschlaghammer zu zertrümmern. Die wirtschaftlichen Leitlinien eines Trump, eines Orban oder der PIS-Partei und ihrer Gesinnungsgenossen lassen nämlich keinesfalls an eine gerechtere Verteilung der Profite glauben, ganz im Gegenteil!

Zudem erhöht sich in einer Atmosphäre des allgemeinen Gegeneinanders und der nationalen Egoismen die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen. Thomas Nord glaubt zwar nicht, dass irgendein Politiker auf der Welt momentan im globalen Maßstab derartige Pläne schmiedet. Die äußerst brisante Lage z. B. im Jemen oder im Syrien-Konflikt, wo verschiedene regionale und globale Mächte völlig unkontrolliert koalieren und aufeinander losgehen, verstärkt aber die Angst, dass sich ein lokaler Funke zum Flächenbrand auswächst.

Wichtig bleibt es daher, verstärkt an einer breitflächigen Initiative gegen Aufrüstung zu arbeiten. Die Ostermarschbewegung und Demonstrationen vor der Kaserne in Brück gehen in die richtige Richtung. Es sollte auch über einen "Friedenspolitischen Ratschlag" nachgedacht werden, evtl. in Zusammenarbeit mit der Kirche.

Außerdem wäre es wichtig, bezüglich der sog. "Wirtschaftsflüchtlinge" für eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung zu sorgen. Als Hunderttausende von DDR-Bürgern vor dem Mauerbau "in den Westen machten", wurden sie dort mit offenen Armen empfangen und bestens in die boomende Wirtschaft integriert. Auch heute wären in Deutschland verschiedene Branchen ohne Wirtschaftsmigration in arger Bedrängnis, man denke nur an Pflegekräfte und Erntehelfer. Gleiches gilt für andere europäische Länder, etwa für den Agrarsektor in Spanien oder polnische Handwerker in England. Ein Viertel des französischen Arbeitsmarktes soll von Migranten abhängig sein. Dabei liegt es durchaus im Sinne des Kapitals, deren Situation durch Illegalität so prekär wie möglich zu gestalten, damit sie sich besser ausbeuten lassen. Linke Politik muss hier gegensteuern! Die Forderung nach offenen Grenzen versteht sich so, dass Migranten - ohne die die reichen EU-Länder ohnehin nicht wirtschaften könnten - ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden soll.

Thomas Nords klarsichtige Analyse der politischen Lage stieß auf große Zustimmung, wie die lebhafte Aussprache nach seinem Vortrag zeigte. Das Fehlen von Alternativen hinterließ jedoch eine gewisse Ratlosigkeit. Bestimmt liegt das hauptsächlich an den aktuellen politischen Parametern, die ein tiefes Stirnrunzeln hervorrufen. Eine effektivere, im positiven Sinne emotionale und daher direkter wahrnehmbare Selbstdarstellung stünde jedoch der LINKEN gut zu Gesicht. Es reicht nicht, sich über eine Zensur durch "die Leitmedien" zu beklagen. Man muss auch prägnant und überzeugend sagen können, wo es langgehen soll. Die Argumente der LINKEN sind im Grunde unschlagbar. Sie müssen aber so deutlich formuliert werden, dass sie keiner mehr vom Tisch wischen kann. Daran wäre zu arbeiten.
Klaus Kleinmann