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Kuba – Zwischen verschärfter Blockade und Neubeginn

Blockade

Mit der Wahl von US-Präsident Trump kam es wieder zur offenen Konfrontation zwischen den USA und Kuba. Die US-Blockade, erlassen vor 58 Jahren am 7.2.1962, steigert sich mittlerweile zu einer totalen Blockade gegenüber Kuba in den Bereichen Handel, Finanzen und Transport.
Ab 2. Mai 2019 wurde Teil 3 und 4 des Helms-Burton-Gesetzes freigegeben. Es erfolgten seit letztem Jahr wieder die Sanktionierung von Medikamenten, Versicherungen (für Warentransporte) sowie Sanktionen gegen den Luft- und Seeverkehr mit und in Kuba (u. a. gegen Tankerflotten).
Die Remesas kubanischer Bürger ( Rücküberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer) wurden auf 1000 $ pro Quartal begrenzt mit Ausnahme von NGOs und jenen, die an Cuentapropistas (Selbständige) gerichtet sind. Sie betrugen 2018 3 Mrd. $, von April 2018 bis März 2019 kam es so zu einem Verlust von etwa 4 Mrd. $. Mittlerweile werden auch Geldüberweisungen durch Western Union sanktioniert, mit Ausnahme von Geldüberweisungen aus den USA nach Kuba.
Die Entscheidung der Sanktionierung des Flüssiggaslieferanten hat Auswirkung auf fast alle Haushalte, da meist mit Gas gekocht wird.

Die EU ist devot vor den USA, trotz EU-Verordnungen gegen das Helms-Burton-Gesetz.
Die Gespräche mit der italienischen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini waren immer gut, allerdings folgte meist nicht viel. Wie es nach der EU-Wahl und mit dem neuen EU-Außenbeauftragten, dem Spanier Josep Borrell, wegen Insider-Aktienhandels mit einer Strafe belegt, weitergeht, ist ungewiss. „Seit 2008 hat die EU mehr als 200 Millionen Euro an Entwicklungshilfe für Kuba bereitgestellt“, berichtete Mogherini. Das sind pro Jahr 20 Millionen abzüglich aller Aufwendungen – also relativ wenig.

Interessant handelt dagegen Japan: Es ist solidarisch mit Kuba: Zur 500-Jahr-Feier Havannas übergab es 100 Müllfahrzeuge (10 kamen auch aus Wien). Seit einiger Zeit stattet Japan kubanische Krankenhäuser mit Technik aus.
Die erste ausländische Niederlassung einer staatlichen Entwicklungshilfebehörde in Kuba wurde dem asiatischen Inselstaat zuerkannt. Die besondere Rolle Japans zeigt auch der Besuch von drei Marine-Kreuzern in Havanna vor einigen Jahren.

Politik

Die neue Verfassung wurde am 24.2.2019 durch die Bevölkerung mit 87 %, 73 % der Gesamtbevölkerung angenommen, 9 % stimmten mit „Nein“, 4 % der abgegebenen Stimmen waren ungültig. Die Wahlbeteiligung betrug 90 %.
Im Vorfeld beteiligten sich 9 Millionen Kubaner an Diskussionen von August bis November 2018, hinterher wurden etwa 60 % des Entwurfes überarbeitet.
Neu in der Verfassung sind u. a. die Existenz des Marktes, Privateigentum an Produktionsmitteln und die Möglichkeit ausländischer Investitionen. Das Thema „Ehe für alle“ soll später im Familiengesetz geregelt werden. Mit der neuen Verfassung soll aus meiner Sicht die Unabhängigkeit, die nur in Verbindung mit einer sozialistischen Entwicklung möglich ist, gestärkt werden. Am 10. April 2019 ist sie in Kraft getreten.

Ebenfalls wurde ein neues Wahlgesetz beschlossen. Zukünftig sind die Funktionen Präsident und Premierminister als Regierungschef getrennt. Die Amtszeit beträgt maximal 2 x 5 Jahre.
Das Provinzoberhaupt heißt nun Gouverneur, die Provinzparlamente wurden aufgelöst. Viele Kompetenzen werden auf die kommunale Ebene verlagert. Mehrere Abgeordnete forderten in der Debatte eine Beschleunigung des Zeitplans, der bis ins Jahr 2022 reicht.
Insgesamt müssen zur Umsetzung der neuen „Magna Carta“ 107 neue Gesetze verabschiedet werden, davon rund zwei Drittel bis zum Ende der aktuellen Legislatur. Insgesamt soll der Prozess bis 2022 laufen.

Mit der Verabschiedung der neuen Verfassung und des Wahlgesetzes übernimmt eine neue Generation das Staatsruder. Miguel Díaz-Canel wurde am geschichtsträchtigen 10. Oktober zum Präsidenten und der ehemalige Tourismusminister Manuel Marrero Cruz zum Premierminister gewählt.
Mitte Januar 2020 erfolgte die Wahl der Provinzgouverneure. Sie wurden durch den Präsidenten vorgeschlagen und von den Gemeindevertretern der Provinzen gewählt. Die Gouverneure kommen aus dem Zivilleben, haben Hochschul-Abschluss und Berufserfahrung. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren. Sie sollen die Verbindungsstelle zwischen Zentralstaat und Kommunen darstellen und besitzen mehr Machtbefugnisse als die früheren Parteisekretäre. Es ist somit Ausdruck der schrittweisen Übergabe von Befugnissen der Kommunistischen Partei auf die Parlamente und staatlichen Institutionen. Die KP soll sich in Zukunft auf die politisch-ideologische Arbeit konzentrieren. Ein Schwerpunkt bei der Vervollkommnung der Demokratie ist die Nutzung des Internets zur Kommunikation zwischen Verwaltung und Bevölkerung. Jeder kann sich zum Beispiel mit seinen Problemen per Mail an den Präsidenten wenden.

Eines der dringendsten Probleme in Havanna: Modernisierung des Wassernetzes – hier bei der Rekonstruktion in der Altstadt Habana Vieja
Eines der dringendsten Probleme in Havanna: Modernisierung des Wassernetzes – hier bei der Rekonstruktion in der Altstadt Habana Vieja

Neuer Wirtschaftskurs

Bei allen Schwierigkeiten ist die verschärfte Blockade eher ein Katalysator für die anstehenden Reformen:

  • Umstrukturierung in der Wirtschaft, Entflechtung Staat - Wirtschaft
  • höhere Eigenverantwortung der Betriebe – noch nicht genügend erkannt vor Ort
  • stärkere Einbeziehung der Werktätigen bei der Jahresplanung – anstelle zentralstaatlicher Vorgaben ab diesen Jahres
  • ordnungsgemäße Rechnungsführung
  • stärkere Vernetzung von Wissenschaft und Produktion
  • stärkere Kooperation des staatlichen mit dem nichtstaatlichen Wirtschaftssektor
  • ständige Aktualisierung und Überarbeitung der Regeln (z.B. neue Regeln für die Genossenschaften außerhalb der Landwirtschaft Ende August 2019)
  • Erhöhung des Exportes und der Importsubstitution
  • Tourismus als Motor und Absatzmarkt für die heimische Industrie und deren Wiederaufbau
  • Rolle der Gewerkschaften an der Basis noch unbefriedigend – ungenügender Interessenvertreter der Werktätigen
  • Maßnahmen zur Trockenlegung des Schwarzmarktes/ Korruption

Kuba ist aber nicht mehr isoliert wie Anfang der 1990er Jahre:
China, Russland sind mittlerweile die wichtigsten Investitionspartner, andere asiatische Länder wie Japan, Indien, Iran sind ebenfalls Handelspartner bzw. Kuba bekommt von dort wertvolle Unterstützung.
Europa ist wirtschaftlich ebenfalls ein wichtiger Partner. Auf der Internationalen Handelsmesse in Havanna FIHAV fiel aber auch auf, dass vor allem bei den spanischen Firmen der Verkauf und weniger Investitionen in Kuba im Vordergrund standen. Die erste deutsche Niederlassung in der Sonderwirtschaftszone Mariel will die Produktion von Ventilen und Pumpen aufnehmen. Auf der FIHAV Handelsmesse waren jedoch nur deutsche Firmen ohne US-Markt-Interessen vertreten. Die Lufthansa fliegt seit Herbst erstmals nach Kuba, nach Santa Clara.

In Bezug auf Lateinamerika ist Venezuela als Öllieferant wichtigster Partner. Es reaktivierte wieder seine alte Tankerflotte auf Grund der neuen US-Sanktionen. Negativ wirkt sich jedoch der Wegfall Brasiliens als Handelspartner aus: viele Kooperationen in Industrie, Landwirtschaft sind nun ausgesetzt. Brasilien stimmte auch gegen die UN-Resolution Kubas gegen die Blockade.

Positive Effekte könnte der Wandel in Argentinien und Mexiko haben.

Ausdruck des Baus kleiner, regionaler Lebensmittelbetriebe: Eisfabrik in der Sierra Maestra
Ausdruck des Baus kleiner, regionaler Lebensmittelbetriebe: Eisfabrik in der Sierra Maestra

Tourismus

Im Tourismus wird seit kurzem auf den Bau neuer Hotels im gehobenen Segment orientiert. Dabei gibt es Kooperationen mit Frankreich, Spanien und China. Es wird sich nicht nur auf Havanna und Santiago konzentriert. In den Provinzhauptstädten erfolgt gleichfalls der Ausbau der Tourismus-Infrastruktur.

Mehr als 4 Millionen internationale Besucher kamen im Jahr 2019. Es fehlten vor allem Kreuzfahrtschiff-Touristen. Im November 2019 kam das erste Kreuzfahrtschiff aus Deutschland direkt in Havanna an. 

Industrie

In der vorhandenen Industrie erfolgt zur Zeit:

  • die Reaktivierung stillgelegter Betriebe: Hersteller von Kühl- und Tiefkühlschränke in Santa Clara,
  • die Produktion von Windkrafträdern mit chinesischer Unterstützung beginnt
  • der Bau von Bussen mit russischer und chinesischer Unterstützung und Lieferung von Teilen
  • die Produktion von Elektro-Zweirädern mit chinesischer Lizenz
  • die schnellere Umsetzung der Lineamientos (Leitlinien)

Insgesamt läuft der Ausbau des produktiven Sektors schleppend – behindert durch Sanktionen der USA. Teilweise bereits errichtete Betriebe in der Freihandelszone können ihre Arbeit nicht bzw. nicht voll aufnehmen, da Zulieferungen aus dem Ausland fehlen.

Ein Schwerpunkt ist die Herstellung eigener Medikamente und deren Export. Derzeit gibt es große Probleme bei der Bereitstellung vieler Medikamente, da durch die Sanktionen Rohstoffe fehlen. Im kubanischen Betrieb besteht dadurch Kurzarbeit. Die Sanktionen haben auch Auswirkungen auf die Bereitstellung von Milchpulver für Kinder und Verpackungsmittel PE.

Dagegen wird in der Türkei die Lizenzherstellung kubanischer Medikamente gegen Hepatitis-C, Diabetes-Fuß  u. a. vorbereitet. In China erfolgt bereits die Produktion kubanischer Medikamente, die u. a. gegen das jetzige Corona-Virus eingesetzt werden.

In der Bauindustrie konnte 2019 seit langer Zeit erstmals der Plan erfüllt werden. Es wurden mehr als 40.000 Häuser gebaut und Bedingungen geschaffen, um voranzukommen.

Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien am Strommix auf 24 % anwachsen, wobei Biogas auf 14 % als zukünftiger Grundlastträger, Windenergie auf 6 % und der Anteil der Solarenergie auf 3 % wachsen.

Trotz der ganzen Widrigkeiten gab es 2019 ein Wirtschaftswachstum von etwa 1 %. Beim Export ist eine Steigerung von mehr als 3% geplant. Wichtig ist das Wegkommen von der Importmentalität.

Seit Sommer 2019 fährt er wieder regelmäßig: der Zug von Havanna nach Santiago
Seit Sommer 2019 fährt er wieder regelmäßig: der Zug von Havanna nach Santiago

Infrastruktur

Der Ausbau des Schienennetzes geschieht mit russischer und chinesischer Hilfe. In diesem Jahr beginnt die unfassende Rekonstruktion und Neubau der Strecke Havanna – Santiago. Der Ausbau des Fuhrparks der kubanischen Eisenbahn wird ebenfalls erweitert. Ende letzten Jahres gab es wieder den regelmäßigen Personentransport zwischen Havanna und Santiago, Holguin, Bayamo und Guantanamo.

Der Ausbau der digitalen Infrastruktur geht rasch voran, das Territorium zu 85 % mit 3G-Netz abgedeckt. Seit kurzem beginnt dieModernisierung des Mobilfunknetzes auf 4G-Standart. Gleichzeitig erfolgt der Ausbau Internet-Festanschlüsse in privaten Haushalten. Zur Zeit gibt es 10000 Festanschlüsse. Mittels digitaler Technik soll der Bürokratie-Abbau forciert werden. Erste gute Ergebnisse gibt es z. B. bei Anmeldung von Gästen in Casa particulares (private vermietete Räumlichkeiten) bei der Immigrationsbehörde.

Landwirtschaft:

Es geht langsam vorwärts. Es ist eine teilweise grundlegende Umstellung (Aussaat, Ernte) durch klimatische Veränderungen nötig. Letztes Jahr gab es eine Ausnahme: genügend Niederschläge auch im Osten der Insel, trotzdem haben die Stauseen geringere Reserven als vor einem Jahr.

Schwerpunkte sind:

  •  Schaffung geschlossener Wertschöpfungsketten – von der Aussaat bis zur Verarbeitung
  •  Erhöhung des Exports, erste Ergebnisse: Früchte, Marabu-Holzkohle
  •  im April 2019 Vermarktung der Überschüsse von landwirtschaftlichen Produkten freigegeben
  •  Bau neuer Lebensmittel- und Futtermittelbetriebe, dezentral
  •  Reaktivierung der Fischzucht

In den Reden des Präsidenten wird immer wieder in Bezug auf alle Bereiche der Wirtschaft und Verwaltung betont:

  •  Stärkerer Kampf gegen Korruption, fehlende Kontrolle, Fatalismus und Verantwortungslosigkeit
  •  Ansprechen der Widerstände in den eigenen Reihen.

Bevölkerung

Im Oktober-November letzten Jahres herrschte trotz Schlangestehens für alle möglichen Produkte und Dienstleistungen eine stoische Ruhe und gelassene Stimmung in der Bevölkerung. Das Handelsnetz wird schrittweise ausgebaut: es entstehen moderne Supermärkte, Großmärkte für Cuentapropistas. Reserven liegen vor allen in der Struktur des Einzelhandels und damit verbunden die Warenverteilung.

Zum Leben sind etwa 100-150 CUC notwendig. Anfang letzten Jahres lag der Durchschnittsverdienst bei etwa 800-900 Pesos – 35 CUC. Mittlerweile ist er gestiegen, da Staatsbedienstete eine große Gehalts- und Rentenerhöhung im Juli - Verdopplung der Gehälter im staatlichen Sektor – erhielten. Es wurde gut gepokert – die Preise sind nicht gestiegen, sie sind trotzdem hoch. Als Zahlungsmittel setzt sich der nationale Peso CUP immer mehr durch, der konvertierbare Peso CUC verliert an Bedeutung. Ende letzten Jahres wurde mit der Einführung von 80 Läden begonnen, in denen mit Devisen hochwertige Konsumgüter gekauft werden können, zu Preisen wie im übrigen Lateinamerika ohne große Preisaufschläge. Damit will der Staat direkt Devisen einnehmen und dem zunehmenden Privathandel über Mexiko, Panama das Wasser abgraben.

Mitte September kam es auf Grund der ausbleibenden Öltransport zu einer totalen Produktionseinstellung und der Eisenbahn-Transport von Gütern und Personen wurde ausgesetzt. Dadurch verschärfte sich die Versorgungslage nochmals. Die anschließende Erholung erfolgt schleppend und regional sehr unterschiedlich.

Die Nutzung des Internets ist allgegenwärtig– mittlerweile wird es von über 63 % der Bevölkerung genutzt.

Erik Fischer