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Was ist passiert am 26. Mai?

War das noch eine Frust-Wahl? Eine Wahl der „Unzufriedenen“? Oder wurden wirklich Nationalisten gewählt?

Viele Fragen stellt sich DIE LINKE nach der Kommunalwahl. Ist das „Ich zuerst“ angekommen in den Kommunen des Barnim? Ist es noch Unzufriedenheit, wenn man diejenigen wählt, die vieles wieder rückgängig machen wollen, was Sicherheit und Frieden in Europa garantiert hat?

Im „Speckgürtel“ wurde mehr AfD gewählt als in Biesenthal-Barnim oder in der Schorfheide. Warum? Gibt es hier Gründe unzufriedener zu sein? Es gibt Vieles, was verbessert werden muss. Der ÖPNV ächzt, die Straßen auch. Wohnen wird immer teurer, Schulen und Kitas sind an Kapazitätsgrenzen, Grundstücke sind für Normalverdiener kaum mehr erschwinglich, prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen zu, Facharzttermine zu bekommen ist schwierig .... Andererseits gibt es hier die geringste Arbeitslosenquote, die höchste Versorgung mit sozialer und kultureller Infrastruktur, Schulauswahl und kurze Wege ... woher kommt die Unzufriedenheit, die in der Wahl von AfD gipfelt? Oder geht es nicht mehr um Unzufriedenheit?

Ist es wirklich schon Nationalismus?

Und selbst wenn der eine Wähler oder die andere Wählerin Nationalismus als Unterstellung weit von sich weisen würde – im Endeffekt haben sie aber genau das gewählt. Unwissenheit (zu den Wahlprogrammen) schützt nicht.

Und sicher kann man Freie Wähler und AfD nicht in einen Topf werfen, aber eines scheint beiden ge-mein: Es geht um die Interessen des Einzelnen.

Aber ist Gemeinwohl nicht wesentlich mehr, als die Summe aller Einzelinteressen? Natürlich kann man sagen: Meine Kosten sollen gesenkt werden. Straßenausbaubeiträge sollen entfallen, meine Abwassergebühren sollen gesenkt, mein Grundstück soll nicht an Wert verlieren, bei mir um die Ecke soll es keine Kita geben (wegen des Lärms) ... Strom aus Kohle soll es nicht geben – aber Stromleitungen für den Transport des Solar- und Windstromes werden wegen Anwohnereinwendungen auch erstmal nicht gebaut.

Also: Das ICH zuerst. Gemeinschaft wird so nicht funktionieren.
Gemeinschaft wird aber auch nicht funktionieren, wenn Belastungen, die durch neue Entwicklungen oder aus Fehlentwicklungen entstehen, immer auf den Einzelnen abgewälzt werden. Und die Verursacher dieser Entwicklungen werden nicht zur Verantwortung gezogen! Die Autoindustrie ist dabei nur ein Beispiel. Sie hat Entwicklungen verschlafen oder bewusst zurückgehalten – der Profit mit bisheriger Technik ist wohl zu einträglich. Da wurde gelogen, betrogen – bestraft werden aber nun diejenigen, die ihre teuer erkauften Autos nicht einfach ersetzen können, die auf Mobilität angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Das ist nicht gerecht. Und auf einmal sind sie wieder da, Begriffe, für die DIE LINKE in der Vergangenheit belächelt, als rückwärtsgewandt bezeichnet oder gar angefeindet wurde: Verstaatlichung, Großkonzerne für die Kosten, die sie der Allgemeinheit auferlegen, zur Kasse bitten. Gnadenlose Globalisierung als aktualisierter Ausbeutungsbegriff – ist es Zeit, all dem wieder mehr Raum zu geben?

Oder was ist mit dem Ost-West-Ding? Industrien wurden zerschlagen, Löhne und Gehälter sind nicht angepasst, Arbeitszeiten sowieso nicht. Die Altersrente zwischen Ost und West ist ungerecht. Obwohl viel Geld in den Osten gepumpt wurde, führen soziale und kulturelle Angebote oft ein Schattendasein, sind zu sehr von der jeweiligen Finanzlage der Kommune abhängig.

Auch hier verständlicher Frust, DIE LINKE hat versucht zu beantragen, Lösungen zu suchen, vor Ort oft fleißig – im Bund aber immer noch stigmatisiert, manchmal nicht einig und damit auf der für grundsätzliche Entscheidungen wichtigen Ebene bisher viel zu klein.

Und was ist mit uns selbst, mit jedem von uns: Ist vielleicht die Rücksichtslosigkeit großer Konzerne als Lebensmodell bei uns angekommen: Keine Steuern zahlen – dafür alle Risiken vom Gemeinwesen bezahlen lassen?

Vielleicht hat all das dazu geführt, dass ein Politikstil Raum gewonnen hat, der nach folgendem Muster abläuft: Wer am lautesten schreit, bekommt Recht. Und wer mir eine schnelle Lösung meines Problems verspricht, bekommt meine Stimme.

Parteien vermitteln inzwischen, dass ihnen Personalfragen wichtiger sind als die eigentliche politische Verantwortung. Da reiht sich DIE LINKE ab und an leider ein – was es für all jene, die sich in ihrer politischen Verantwortung engagieren, nicht leichter macht. Fremdschämen gehört inzwischen dazu – oder Ignorieren, was es auch nicht besser macht. Aber hier könnte der Teil der Wählerinnen und Wähler, die Protest ausdrücken wollten, Erfolg haben. Das Nachdenken hat bei den Linken eingesetzt.

Zuallererst aber sind neue Lösungen in vielen Kommunen nötig, denn das Ergebnis der Kommunalwahl zeigt in den meisten Städten und Gemeinden: auf den ersten Blick eine faktische Unregierbarkeit. Nur in wenigen Orten im Kreis hat eine Partei oder Gruppierung die 20-Prozent-Marke erreicht. In der Regel liegen vier Parteien oder Wählervereinigungen dicht beieinander.

Im Kreistag werden die CDU mit 9, die LINKE mit 9, die SPD mit 8, die AfD mit 8, die Freien Wähler mit 7 und die Grünen mit 6 Sitzen vertreten sein. Dazu kommen dann noch Bürgerfraktion Barnim, FDP und Bauernverband mit jeweils 2 Sitzen, BfB, Bündnis Schorfheide und Die Partei mit jeweils 1 Sitz. Gut ist, wenn Bündnisse Vertreter in diesem Gremium haben, sie können bestimmte Themen stärker in den Fokus rücken. Die Zeit klarer Bündnisse und Mehrheiten ist aber vorbei. Und nun stellt sich zum Beispiel im Kreistag die Frage: Wird es überhaupt möglich sein, zu Sachthemen die Mehrheit von 29 Stimmen zusammen zu bekommen, um einen Beschluss zu fassen?

Die Bürgermeister in den Städten und Gemeinden, der Landrat im Kreistag – wie werden sie Entscheidungen treffen, wenn ihnen das Votum der Gemeindevertretungen, Stadtverordnetenversammlungen und des Kreistages fehlt?
Unregierbarkeit war möglicherweise nicht das Ergebnis des Wählerwillens. Aber was dann?

Politik – erst recht Kommunalpolitik – muss Lösungen für alle Einwohnerinnen und Einwohner anbieten – nicht nur für Einzelne. Aber welche Interessen wiegen mehr? Welche Entscheidungen sollen getroffen werden, wenn man abwägen muss? Kompromisse finden, um das Gemeinwesen für alle attraktiv zu machen? Und Entscheidungen für etwas beinhalten auch immer Entscheidungen gegen etwas.
Es gibt vielleicht eine Interpretation des Wahlergebnisses, der sich auch DIE LINKE stellen muss: Nehmt die Vielfalt der Probleme ernster! Die Zusammensetzung der Kommunalparlamente spiegelt die Positionen und Probleme dieser Gesellschaft wider. Deshalb lautet der Wählerauftrag auch an DIE LINKE: Probleme aufnehmen, zuhören, gemeinsam nach Lösungen suchen – und vor allem die Prozesse dorthin transparent machen. Gelingt das, wächst vielleicht auch wieder Vertrauen in Politik, ist der Schritt zu mehr Gemeinschaft möglich. Im besten Falle haben es dann die Lautesten und die mit den einfachen Lösungen (die immer nur für eine bestimmte Klientel einfach sind) nicht mehr so leicht.

Eine Grenze gibt es: Kompromisse, Konfliktlösungen, Zusammenarbeit darf nicht dazu führen, dass man sich verbiegt. Nicht umsonst finden sich Menschen in Parteien oder Wählergruppierungen zusammen – weil sie bestimmte Ansprüche an sich selbst und die Entwicklung des Gemeinwesens haben. Bei der LINKEN liegt die Grenze hier: Sie will keine weitere soziale Spaltung der Gesellschaft – im Gegenteil, Chancengleichheit muss es für alle geben. Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Option. Und die Probleme unserer Gesellschaft müssen wir selber lösen – sie dürfen nicht dazu führen, dass wir Frieden und Sicherheit gefährden.
Redaktion der "OW"